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Dichtes Blätterdach schützt vor steigenden Temperaturen

Der Verlust von schützenden Baumkronen – etwa durch Schädlingsbefall, Sommertrockenheit oder durch die Forstbewirtschaftung – würde eine zusätzliche, drastische Erwärmung für die darunter wachsenden Pflanzen nach sich ziehen.
Der Verlust von schützenden Baumkronen – etwa durch Schädlingsbefall, Sommertrockenheit oder durch die Forstbewirtschaftung – würde eine zusätzliche, drastische Erwärmung für die darunter wachsenden Pflanzen nach sich ziehen. (Foto: Jan-Peter Kasper/FSU)

Ein Großteil aller landlebenden Tier- und Pflanzenarten weltweit lebt in Wäldern und dort oft im Unterwuchs oder im Boden. Standardisierte Wetterstationen, die wertvolle Informationen zur Klimaerwärmung sammeln, stehen allerdings in der Regel auf freiem Feld und messen Temperaturen in etwa zwei Meter Höhe. Die von ihnen gelieferten Daten sind somit für den Wald – eines der wichtigsten Ökosysteme der Erde – nur bedingt aussagekräftig. Denn wie jeder weiß, der schon einmal im Schatten von Bäumen spazieren gegangen ist, herrscht hier ein anderes Klima. Ein internationales Forschungsteam hat nun erstmals die Klimaerwärmung unter dem Kronendach – und damit den Unterschied zum Freiland – mit handfesten Zahlen bestimmt.

Datenschatz aus 100 Wäldern weltweit

Die Forscherinnen und Forscher unter der Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in der Schweiz und der Universität Cambridge berichten, dass die im freien Feld gemessene Klimaerwärmung die Temperaturentwicklung unter dem Blätterdach nur unzureichend wiedergibt. Denn wird das Kronendach dichter, verringert es für die darunter lebenden Organismen die Klimaerwärmung. Lichtet es sich, wird es sprunghaft wärmer. „Das ist wichtig zu wissen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität zu verstehen. Außerdem können wir somit auch die Konsequenzen für die Verjüngung der Bäume nachvollziehen, denn die Temperaturunterschiede beeinflussen ebenso die nachwachsenden Bäume, die den Fortbestand des Waldes in seiner jetzigen Form sichern“, erklärt Dr. Markus Bernhardt-Römermann von der Universität Jena, der als Mitglied des Leitungsteams des einzigartigen internationalen Netzwerks forestREplot gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an 100 Standorten weltweit Daten gesammelt hat. Berücksichtigt wurden auch Wälder aus Deutschland, insbesondere aus Thüringen. Die Waldökologen maßen die Temperaturen im Waldesinneren und kombinierten diese in einem Computermodell mit bis zu 80 Jahre zurückreichenden Informationen über die Baumkronendichte des Waldes.

Rückstand bei der Klimaanpassung

Auf die im Wald lebenden Arten kann der Temperaturunterschied zwischen Freiland und dem kühlenden Blätterdach der Bäume allerdings gravierende Auswirkungen haben: „Sämtliche Organismen haben ein Temperaturoptimum, in dem sie am besten gedeihen. Wenn sich das Klima erwärmt, profitieren wärmeliebende Arten und verdrängen die an kühlere Bedingungen angepassten“, erklärt Markus Bernhardt-Römermann. „Das Temperaturoptimum von Waldorganismen liegt jedoch deutlich unter den tatsächlich gemessenen Temperaturen. Das bedeutet: Sie passen sich nicht so schnell an die generell veränderten klimatischen Bedingungen an. Stattdessen leben viele Arten – in Bezug auf den globalen Klimawandel – in einem zunehmend suboptimalen Temperaturbereich.“

Das bedeutet, dass ein Verlust der schützenden Baumkronen – etwa durch Schädlingsbefall, Sommertrockenheit oder durch die Forstbewirtschaftung – eine zusätzliche, drastische Erwärmung für die darunter wachsenden Pflanzen nach sich ziehen würde, auf die sie schlecht vorbereitet sind. Plötzlich läge ihr bisher kühler, schattiger und meist auch luftfeuchterer Standort viel öfter und länger in der brütenden Hitze. Gleichzeitig trocknet der Boden aus. Viele Arten könnten sich nicht schnell genug anpassen, würden von wärmeliebenden Arten verdrängt und möglicherweise lokal aussterben.

Angesichts der zu erwartenden Zunahme von sommerlichen Hitzewellen und Dürreperioden in Europa dürfte dies die Waldbiodiversität verändern, aber auch zu Schwierigkeiten bei der Verjüngung vieler Baumarten führen. „Eine zu starke Auflichtung des Kronendaches sollte – wo immer es möglich ist – vermieden werden“, sagt der Jenaer Ökologe. Vielmehr sollten Waldbewirtschafter die Auswirkungen von Forsteingriffen auf die Klimabedingungen im Waldesinnern und deren Einfluss auf das gesamte Ökosystem berücksichtigen.

Universität Jena


Originalpublikation:

F. Zellweger et al.: Forest microclimate dynamics drive plant responses to warming, Science 2020, DOI: 10.1126/science.aba6880

https://doi.org/10.1126/science.aba6880